Lüttge-Garten

Gustav Lüttge und sein Garten in Hamburg-Lokstedt


Auszug eines Schriftsatzes von Gustav Lüttge vom 20. Dezember 1967

"Sinn und Zweck des Versuchshaines ist es, die wahrhaft epochalen Neuzüchtungen auf diesem Gebiet in Bezug auf ihr Wachstum, Winterhärte, auf Blühwilligkeit, Farbe und Gesamthabitus im hiesigen Klima zu testen, zu bewerten und die so gewonnenen Erfahrungen einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich zu machen.

Das Zentrum der deutschen Rhododendronzucht liegt im Lande Oldenburg, wo die klimatischen Bedingungen als ausgezeichnet bezeichnet werden müssen, wenn die Kulturen durch Baumkronen geschützt sind, andererseits Massenzuchten auch ohne Baumschutz gut gedeihen.

Der inzwischen weltbekannt gewordene Züchter Dietrich G. Hobbie in Linswege begann Mitte der 30er Jahre mit seinen ersten Züchtlingen und erhielt in dieser Zeit von seinen englischen Freunden wertvolle Saaten als Teilmengen, die eine asiatische Expedition aus den asiatischen Gebieten mitgebracht hatte. Es zeigte sich bald, dass die ausgedehnten Hobbie’schen Waldungen mit ihren Kiefernschirmen und dem frischen, anmoorigen Boden ausgezeichnete Voraussetzungen für gutes und rasches Gedeihen der erwähnten neuen Wildarten bildeten...

Durch Jahrzehnte wurde dieses neue Material, das erbmäßig gefestigte, ganz unerwartete neue Eigenarten und Formen mitbrachte, sehr intensiv gesichtet bis die wertvollsten und für unseren Kontinent am besten geeigneten Pflanzen als Auslese aus Tausenden, zur Weiterzucht bestimmt wurden.

Die am schnellsten bekannt gewordenen Kreuzungen sind die so genannten repena-Hybriden, bereits in der ersten Maihälfte blühende, sehr kompakt bleibende Sträucher, die in klarem Blutrot durch viele Wochen blühen. Parallele Züchtungen wurden in England, dem klassischen Land der Rhododendron-Zucht, durchgeführt. Doch sind jene Pflanzen für den Kontinent, der nicht die Klimamilderungen durch den Golfstrom hat, infolge mangelnder Winterhärte unbrauchbar. Die Hobbie’schen Züchtungen dagegen, in langen Jahren getestet, zeigen so vitale Kräfte und ausreichende Winterhärte, dass sie bereits mit mehreren Medaillen ausgezeichnet wurden, in Deutschland sowohl wie im Ausland.

Aus den oben aufgeführten Wildarten gingen dann im Laufe der Jahre immer gezieltere Hybriden hervor, indem diese mit passenden Gartenhybriden oder aber auch mit anderen Wildarten gekreuzt wurden und ganz neuartige Typen bildeten…

Als ich im Jahre 1952 zum ersten Mal die Hobbie’sche „Zuchtwerkstatt“ kennen lernte, wurde es mir klar, dass ich wohl nur ganz selten oder nie auf einem Gebiet der Pflanzen-zucht in so wenigen Jahren eine solche Fülle und Vielfalt ganz neuartiger Pflanzen durch Hybridisierung geschaffen worden war. Und es war sofort deutlich, dass angesichts dieses Reichtums an neuen Sorten gar nicht genügend beobachtet und bewertet werden konnte, um überall die Spitzenwerte klar herauszustellen und damit stetig das Niveau zu heben und von Zufälligkeiten zu befreien.

In den folgenden Jahren beobachtete ich sehr intensiv die Hobbie’sche Arbeit und machte mich mit der zunächst verwirrenden Fülle vertraut. Bald entstand dann der Wunsch, selbst in Hamburg eine entsprechende Versuchspflanzung vorzunehmen, bei welcher mit ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt die künstlerische Anwendung der neuen Schätze sein sollte, mit der es in den deutschen Gärten noch sehr im Argen lag. Herr Hobbie begrüßte mein Vorhaben außerordentlich, zumal er auch bereits in Zusammenarbeit mit anderen Städten ähnliche Pflanzungen machte, die ebenfalls als Versuchspflanzungen gelten konnten.

So kam es, dass mir die Hansestadt Hamburg das Gelände der alten „Amsinck’schen Reitwiese“ für die Dauer von 30 Jahren zur Verfügung stellte und ich das angrenzende Grundstück ….erwerben und bebauen konnte.

Im Frühling 1958 begann ich dann mit der Erschließung der Wiese und der Errichtung der Pflanzflächen, nachdem das Garten- und Friedhofsamt mein Vorhaben ganz besonders begrüßt hatte, da in diesem Fall durch Privatinitiative im Hamburgischen Raum ein Unternehmen gestartet wurde, zu dem vom Amt aus keinerlei Mittel zur Verfügung stehen könnten.

Die Firma Irmfried zum Felde trug in großzügiger Weise durch praktischen Einsatz dazu bei, dass bereits im Frühling 1958 nicht nur die Struktur der Anlage durchgeführt werden konnte, sondern auch bereits die Baumpflanzungen und darauf folgend die Rhododendron-pflanzungen erfolgten.

In zwei großen Lastzügen lieferte Herr Hobbie in mindestens achthundert bis tausend jungen Pflanzen seine Kreuzungen der letzten 20 Jahre an, die zu sortieren alleine eine Woche in Anspruch nahm. Von den einzelnen Kreuzungen erhielt ich jeweils 3, 6 oder 12 Exemplare, die in Gruppen zusammengepflanzt wurden. Außerdem wurden die wertvollsten bekannten Gartenhybriden und wichtige bereits im Wandel befindliche Wildformen mitgeliefert neben 100 Vardii-Hybriden, aus welchen etwa fünf klonfähige Formen ausgesucht wurden.

Um den Pflanzen optimale Bedingungen zu schaffen, - der Boden ist bei einer ph-Zahl von etwa 4,7 und seiner porös-frischen Beschaffenheit ohnehin sehr geeignet für Moorbeetpflanzen - wurde er in nunmehr neun Jahren alljährlich reichlich mit Straßenlaub abgedeckt, so dass ein humos-federnde Waldbodenstruktur entstanden ist, die bekanntlich Unkraut nicht aufkommen lässt. Durch eine so geschaffene organisch-optimale Oberschicht wird den Rhododendren, die Flachwurzler sind, ein besonders reiches Wurzelsystem ermöglicht, das wiederum einen kompakt-kugeligen Wuchs fördert.

Die Halbschattenbildung geschieht überwiegend durch Waldkiefer, welche mit ihrem ausladenden Wuchs ausreichend Licht zu reicher Knospenbildung durchlässt. Einige Eichen und Laubgehölze ergänzen den Bestand zu einer Baumgemeinschaft, wie sie den natürlichen Gegebenheiten in diesem Landschaftsschutzgebiet entspricht. Der so entstandene Baumhain, dessen Kiefernbestände durch die hohen Schwarzkiefern des früheren Amsinck’schen Parks bestätigt werden, bildet entlang der Straße „Hinter der Lieth“ zwischen „Liethwisch“ und „Schübb“ eine natürliche Pufferung zu den Wohnhäusern dieser beiden Straßen.

In den vergangenen sieben Jahren wurden nun auch in diesem Versuchshain rigorose Sichtungsmaßnahmen durchgeführt. Unter dem Gesichtspunkt, dass das Bessere das Gute ausschließt. In dieser Zeit wurden hunderte von bereits herangewachsenen Pflanzen verbrannt, so dass immer wieder neuer Platz für ausgesuchte Eliten frei wurde, die sich zu echten Solitärpflanzen auswachsen können… In enger Zusammenarbeit mit Herrn Hobbie und seinem Mitarbeiter Herrn Robanek erfolgte ein kontinuierlicher Erfahrungsaustausch, indem durch gegenseitige Besuche oder aber auch durch Vergleiche und in Abstimmung mittels Farbaufnahmen immer von neuem die Wertigkeit der neuen Kreuzungen einer Zuchtreihe geprüft wird.

So entsteht ein Bestand, der in stetiger Wandlung ist und immer neue Relationen zu den Kerngruppen absolut bewährter Bestände älterer oder neuer Züchtungen bilden.

Die bekannte Baumschule Jh. Bruns in Bad Zwischenahn hat sich an dem vielseitigen Bestand dieses Versuchshains mit ausländischen XYZsorten beteiligt, die noch sehr wenig bekannt sind. Dabei hat es sich gezeigt, dass holländische und englische Züchtungen höchsten Wertes zu einem nicht unbedeutenden Teil vollkommen winterhart und leicht kultivierbar in unserem Klima sind. Diese Pflanzen wachsen hier nun zu großen Solitärs heran und zeigen in Einzelstellung oder entsprechender Farbbenachbarung ihren Wert.

Durch Herrn Hobbie aufgefordert, begann ich hier in Lokstedt vor etwa fünf Jahren ebenfalls mit Rhododendron-Kreuzungen, indem ich Kombinationen entweder der Eliten der Hobbie’scher Züchtungen miteinander oder aber solche wählte, die altbewährte Qualität mit ganz neuartigen Werten vereinigt. Die Aussaaten dieser Eybridisierungen erfolgen entweder hier in Hamburg bei Herrn zum Felde oder aber bei Herrn Hobbie, die wertvollsten sogar gleichzeitig an beiden Stellen. Ebenso wie bei den Hobbie’schen neuesten Kreuzungen, werden von diesen meinen Hybriden je drei Pflanzen hier aufgepflanzt, werden naturgemäß aber auch in Linswege weiter kultiviert und beobachtet. Für solche Kreuzungen wird zwischen den Züchtern Blütenstaub ausgetauscht und wie Herr Hobbie diesen etwa aus Amerika oder England per Luftpost bezieht, so wurde mir vom Leiter des Rhododendron-parks in Bremen auf meine Bitte hin Pollen von Rh. yakousimanum zur Verfügung gestellt, mit dem ich hoffe, ganz neuartige Kombinationen erreicht zu haben.

Die vor wenigen Jahren von der Deutschen Rhododendrongesellschaft beschlossene und seither regelmäßig erscheinende „Immergrüne Blätter“ haben das Ziel, den Laien und Pflanzenfreund über die akuten Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten und auf diesem Wege auch dem Fachmann Einsicht in manche Beobachtungen zu geben, wie sie sehr wertvoll in aller Stille gemacht werden. In diesen Blättern veröffentliche ich in Fortsetzungen meine Beobachtungen mit den frühblühenden Neuheiten im Hamburger Raum und wurde jetzt gebeten, mit der Zeit diese Artikel auch auf die mittlere und späte Blühzeit auszu-dehnen. Damit ist ein direktes Sprachrohr zu den Gartenfreunden und den städtischen Ämtern für wintergrüne Pflanzen gefunden worden und wenngleich auch wissenschaftlich einwandfrei, so sind diese Mitteilungen doch vor allem Hinweise, wie Neuzüchtungen unmittelbar praktische Anwendung finden können.

Eine enge Zusammenarbeit mit dem Leiter des Bremer Rhododendronparks, Herrn Dr. Heft, habe ich vorgesehen, um noch weitere Verbindung für Verwendung und Zucht zu bekommen. Weitere Veröffentlichungen sind mit der Schriftleitung von „GARTEN UND LANDSCHAFT“ vereinbart worden, nachdem hier bislang lediglich eine programmatische Zusammenstellung der Frühblühenden mit nicht ausreichendem Bildmaterial erfolgte.

Neben schriftlichen Aufzeichnungen sind die einzelnen Sorten und Arten beschildert. Vor allem aber stellt das farbige Bildarchiv einen recht genauen Spiegel der wertvollen Neuheiten und der bewährten alten Hybriden und von Wildformen dar. Auf einigen der Bilder wird bereits modernste Anwendung der neuen Farben sichtbar, wie sie immer konsequenter durchgeführt wird.

Das Fazit dieser Jahrzehnte benötigenden Sichtungs- und Gestaltungsarbeit soll eines Tages ein Buch sein, das in farbigen Bildern Anwendung der neuen Züchtungen zeigt, deutlich getrennt in die verschiedenen Blütezeiten von April bis Juli… Damit besteht die Möglichkeit, den Versuchshain in der bisherigen Form konsequent weiter zu entwickeln, bis er nach Ablauf der vorgesehenen 30 Pachtjahre als fertiger Hain der Hansestadt übergeben werden kann. Es wird zwar nicht möglich sein, den Hain ohne Einzäunung der Öffentlichkeit zu übergeben, da man doch mit Beschädigungen und Zerstörungen rechnen muss. …"

Gustav Lüttge, 1967